Wo sind all‘ die Punks hin? Was ist mit Splatterpunk und Cyberpunk?

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Wo sind all‘ die Punks hin?

Früher war alles besser. Diese generalisierte Aussage ist unwahr, aber sie triggert so schön. Die eine Gruppe stimmt frenetisch zu, die andere behauptet mit gleicher Vehemenz das Gegenteil.  Beide haben unrecht, denn generalisierte Aussagen sind von Natur selten wahr.

Betrachtet man den Buchmarkt, stellt sich die Lage leider ziemlich eindeutig dar. Bevor der kleine Artikel bereits an dieser Stelle ausatet, möchte ich mich auf den Teil des Literaturbetriebs beziehen, der von den Lesern im Alltag wahrgenommen wird: Beim Einkaufen, im Bahnhofskiosk oder auch im Buchgeschäft – falls sich das Gros der Deutschen sich denn überhaupt noch dorthin verirrt.

Excuse me, es ist 2023. Jawohl, die Welt hat sich weitergedreht und der durchschnittliche Deutsche hat heute viele neue Hobbys. Freizeitbeschäftigungen, die es 1995 noch gar nicht gegeben hat: Onlinegames, Netflix, Smartphonespielereien. Gelesen wird immer noch, aber oftmals nur noch von Hardcore-Lesern. Das gelegentliche Lesen (eines Buches) verschwindet zunehmend. Das aufblühende Homeoffice ohne ÖPNV-Fahrt zur Arbeit macht das begleitende Buch ebenfalls überflüssig. Zuhause gibt es ja schon genug Ablenkung.

Verschlimmernd haben seit den Neunzigern auch eine Verdrängung und kannibalistische Konzentration auf dem Buchmarkt viele Verlage vernichtet. 

Anfang der Neunziger habe ich Clive Barkers „Bücher des Blutes“ in der Buchabteilung des Kaufhofs in der Nachbarstadt Siegburg erworben. Okay, in den Neunzigern gab es auch noch keine Dauerempörten und man war gefühlt deutlich gelassener. Heute gibt es in der betreffenden Kaufhof-Filiale keine richtige Buchabteilung mehr, sondern nur noch ein paar Regale mit den Titeln der Spiegel-Bestseller-Liste. Ironischerweise gibt es das Siegburger Warenhaus selbst auch nur noch bis Januar 2024. Zeiten ändern sich…

Das ich mal die „Bücher des Blutes“ im regulären Buchhandel von einem Publikumsverlag (Knaur) kaufen konnte, ist an und für sich schon kurios. Heute werden Clive Barker  und andere Autoren nur noch von Kleinverlagen wie der Edition Phantasia verlegt und sind dementsprechend praktisch aus dem Präsenzhandel verschwunden. 

Man kann sich jetzt darüber streiten, weshalb das so ist. Mit Sicherheit ist erwähnter Clive Barker kein Liebling des Massengeschmacks. Oft genug schreibt er hart am Limit und überlastet viele Leser, wenn er im Splatterpunk ankommt. Gleichzeitig ist Clive Barker aber ein sehr guter Schriftsteller, der mühelos einen Sebastian Fitzek weit in den Schatten stellt. Fitzek ist einer der Stars auf den deutschen Buchmessen und macht mit „gewaltpotnographischen“ Thrillern (Dennis Scheck) gutes Geld. Es gibt also durchaus Kunden für Geschichten mit härterer Gangart, daran kann es also auch nicht liegen.

Liegt es am Genre, also im weitesten Sinne dem Splatterpunk? Anders als bei Fitzeks Thrillern geht es beim Splatterpunk genauso wie beim Cyperpunk um Rebellion und Revolte gegen Autoritäten und das Establishment. William Gibson, Bruce Sterling und Neal Stephenson finden sich als Vertreter des Cyberpunks jedoch (noch) bei großen Verlagen und dementsprechend in den Regalen der Buchhandlungen. Vielleicht hat das mit dem grassierenden Hype der Dystopien zu tun, vielleicht weil die Rebellion im Cyberpunk naturgemäß in der Zukunft und etwas weniger brachial stattfindet.

Andererseits muss auch gesagt werden, dass junge Cyperpunk-Autoren (oder gar deutsche Vertreter) auf der großen Verlagsbühne absolut keine Rolle spielen – im Gegensatz zu Vertretern des Thriller-Genres. Und wenn wir gerade dabei sind, sollten wir das auch auf andere Punks ausweiten, also Autoren von Steam- und Nanopunk zum Beispiel. Anders sieht das gefühlt bei Vertretern des Solarpunks und Hopepunks aus, die Formen des Optimus als Mittel der Wahl ausgewählt haben und sich dezidiert auf Ökonomie und Nachhaltigkeit beziehen. Zumindest finden diese Punks in den Medien ein Nachhall, was sich in entsprechenden Veröffentlichungen bei größeren Verlagen niederschlagen könnte. Aber sind das überhaupt richtige Punks? Lassen wir das an dieser Stelle…

Wo sind all‘ die Punks hin?

Widerstand, Revolte und der Schrei nach Veränderungen sind für das Establishment schon immer vor allem unangenehm gewesen. In der Science Fiction gestattet man Autoren mehr oder minder getarnte Versuche des Aufmuckens. Die Revolution findet dort ja auch niemals heute, sondern immer morgen statt. Faktisch also nie. Gegenwartsliteratur ist da schon unangenehmer, zumal anständiger Splatterpunk unter die Gürtellinie geht. 

Und da sind wir meiner Meinung nach auch am Knackpunkt angekommen: Splatterpunk ist Gewalt, Sex und es ist in jeder anderen nur erdenklichen Hinsicht dreckig. Damit steht es dem Zeitgeist diametral entgegen: Der ist positiv optimistisch, clean und immer auch gedanklich keimfrei. Hier schließt dann auch eine mögliche Erklärung für den potenziellen Erfolg von Solarpunk und seinem Vetter Hopepunk an: Sie schwimmen mitten im Zeitgeist mit. Außerdem geht es in ihrer DNS mehr um Hoffnung als um Wut. 

Warum ist diese Unterscheidung wichtig? Verlage verwenden immer öfter Sensivity Readings, um Probleme mit Minderheiten aus dem Weg zu gehen. Ebenso wird viel über Triggerwarnungen und Content Notes diskutiert. In ein solches Schemata passt das Genre Splatterpunk (oder jeder ernsthafte Punk) einfach nicht hinein. Im Gegenteil, es wirkt ja fast schon subversiv und wie eine Einladung für einen Shitstorm.

Am Ende muss man sagen, dass die literarischen Punks nicht weg sind. Es gibt sie noch, aber man findet sie kaum mehr zufällig in irgendeiner Buchhandlung. Der aktuelle Zeitgeist ist einfach völlig anders und hindert Verlage, mutiger zu sein. Wer also Lust auf düstere Rebellion hat, kann bei Kleinverlagen fündig werden. Wenn sich das weiter herumspricht, können aus kleinen Verlagen auch mal größere werden!

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Ein neuer Professor Zamorra mit meiner Beteiligung: Katakomben des Schreckens

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