Als Wolfgang Petersens Film Die unendliche Geschichte 1984 in die Kinos kam, war ich sechs Jahre alt. Den Film sah ich etwa ein Jahr später. Ich bewunderte den Glücksdrachen Fuchur und wollte selbst auf ihm reiten, litt mit beim Tod von Artax im Sumpf der Hoffnungslosigkeit und jubelte, als Phantásien von Bastian Balthasar Bux gerettet wurde. Damals ahnte ich jedoch nicht, dass diese Geschichte für mich noch lange nicht zu Ende war…
Zur Kommunion bekam ich Momo von Michael Ende geschenkt, und ich wusste, dass auch Jim Knopf aus seiner Feder stammte. Das war es dann aber auch – mehr habe ich mich mit Michael Ende damals nicht beschäftigt. Ich las das, was man als Junge eben so las: vor allem Science-Fiction, Fantasy und Horror. Von Stephen King über Wolfgang Hohlbein bis H.P. Lovecraft. Irgendwann habe ich dann selbst begonnen zu schreiben.
Als Autor bleibt man zwangsläufig auch immer Leser. Anders geht es einfach nicht – das Lesen ist Teil der Autoren-DNA. Man sucht stets nach neuem Lesestoff, sei es durch Gespräche mit anderen Leserinnen und Lesern, durch Literatursendungen und Podcasts oder durch das Studium des Feuilletons.
Nachdem ich innerhalb kurzer Zeit gleich dreimal auf Die unendliche Geschichte gestoßen war, beschloss ich, das Buch zu lesen. Es war fast 40 Jahre her, dass ich den Film gesehen hatte, und so konnte das doch keine allzu langweilige Reise werden, oder? Ich lieh mir das Buch in der Stadtbibliothek aus und begann zu lesen.
Was soll ich sagen? Die unendliche Geschichte hat mich sofort gepackt und in ihren Bann gezogen. Schon auf der ersten Seite merkt man: Hier hat man es mit echter Literatur zu tun – nicht nur mit einem Kinder- oder Jugendbuch. Stattdessen findet sich ein Roman, der sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene richtet.
In meinen Augen ist Die unendliche Geschichte ein moderner Klassiker und gehört zu den bedeutendsten Büchern, die in den letzten 50 Jahren in deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Ich sehe förmlich die Fragezeichen aufpoppen: „Aber es ist doch nur ein Fantasyroman?“
Keineswegs! Michael Endes Roman hat zwar ein fantastisches Sujet, erfüllt aber auch andere literarische Kriterien:
- Literarizität: Darunter verstehe ich die Qualität des Textes an sich. Einerseits bildet Ende die Wirklichkeit ab und spricht gesellschaftliche Probleme an. Gleichzeitig erschafft er mit Phantásien ein einzigartiges fiktionales Universum, das als Metapher für unsere Welt fungiert: Das Nichts, die Kreativitätsdiskussion, die Kritik an Herrschaftsstrukturen – all das sind Themen von bleibender Relevanz. Hinzu kommt, dass das Buch 1979 erschien und auch 2024 uneingeschränkt lesbar ist. Es stellt zentrale menschliche Themen zur Diskussion und unterhält Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen.
- Ein Meilenstein für die deutsche Phantastik: Ohne diesen Roman wäre z. B. Wolfgang Hohlbeins Märchenmondkaum denkbar, da Hohlbein geschickt Aufbauelemente und Motive von Ende übernimmt. In direkter Folge wurde Hohlbein zu einer prägenden Figur der deutschen Phantastik. Ähnliches lässt sich über andere Autoren in diesem Genre sagen, die wiederum andere Kulturschaffende beeinflusst haben. Ohne Michael Ende sähe die deutsche Phantastik heute völlig anders aus.
- Einfluss auf die Popkultur: Von Die unendliche Geschichte wurden weltweit mehr als 40 Millionen Exemplare in über 40 Sprachen veröffentlicht. Dazu kommen drei Spielfilme, zwei Serien und diverse Spin-offs. Der Roman hat auch international seine Wirkung entfaltet und begeistert Menschen weit über das Medium Buch hinaus.
Ich bin sicher, dass Michael Ende in naher Zukunft die Würdigung erfahren wird, die ihm gebührt. Leider kann er selbst das nicht mehr erleben, da er längst verstorben ist. Sein Werk jedoch lebt weiter, und er wird auch weiterhin gelesen.
Hast du Die unendliche Geschichte auch gelesen? Welches Werk von Michael Ende ist dir am meisten im Gedächtnis geblieben?